Die Selbstbildnisse des Menschen haben eine lange Evolution hinter sich. Von den Höhlenmalereien über die Fotografie, bis zu Fernsehen und Video. Jeder dieser Schritte kam einer Revolution gleich, die Fotografie zum Beispiel ermöglichte es den Menschen, ihr Abbild zuerst als Statussymbol, dann als Erinnerungsspeicher an jedem Ort ansehen zu können. Heute, nur knapp über 100 Jahre später, sind wir bei der Echtzeitdarstellung unseres ganzen Lebens im Internet angekommen. Aus dem physischen Erinnerungsspeicher ist ein virtueller geworden, der Computer hilft uns - auch das erst seit ungefähr 30 Jahren -, unsere Selbstbildnisse, ja unser ganzes Leben zu analysieren, zu strukturieren und zu speichern.
Bis heute zählen Festplattengrößen neben Prozessorgeschwindigkeiten bei Computern zu den entscheidenden Auswahlkriterien für den Kauf eines neuen Rechners. Wir achten alle - mehr oder weniger bewusst - darauf, dass genug Platz auf dem physikalischen Speicher vorhanden ist, um unser Leben in Form von Videos, Fotos und anderen Medien auf der Festplatte abzulegen.
Damit ist der Computer neben dem Arbeitsgerät und der Spielekonsole auch zu so etwas wie einem Life-Line-Recorder geworden. Unser Leben liegt fein säuberlich in „Ereignisse“ unterteilt auf den Laufwerken und kann auf unserem externen „Gehirnlaufwerk“, der Festplatte jederzeit nach beliebigen Kriterien in Videos und Präsentationen zusammengestellt und vorgeführt werden. Für viele ist es immer noch eine unvorstellbare Vorstellung, dass die Festplatte „voll“ sein könnte, weil sich das Gefühl einstellt von „Jetzt endet mein Leben, weil ich es nicht mehr aufzeichnen kann“. Wir brauchen immer mehr externe Festplatten, um unserem Leben den Raum geben zu können, den wir für wichtig halten. Obwohl unsere Lebens-Daten virtuell vorliegen, sind sie dennoch immer in unserem direkten Zugriffsbereich, auf unserem Rechner. Doch der nächste Evolutionsschritt naht: Cloud-Computing ist etwas ganz Neues für den Menschen.
Wir werden dazu übergehen, unsere Daten aus dem selbstverwalteten eigenen Rechner in die Sphären eines Rechnerparks abzugeben. Aber dieser Schritt ruft bei vielen Nutzern Bedenken in Sachen Sicherheit, wenn nicht sogar eine starke Abneigung gegen diese Form der Speicherung hervor, weil unsere Daten - das heißt auch immer unser Leben - nicht mehr in unserem selbstverantworteten Herrschaftsbereich, sondern auf „irgend einer Wolke“ liegen. Auch diese Zweifel werden wir ablegen, so wie wir nicht mehr glauben, dass unseres Seele auf einem Foto eingesperrt wird, oder dass das Fernsehen uns unserer Selbstbestimmung beraubt.
Die Voraussetzungen für Cloud-Computing sind gegeben, die Internet-Infrastruktur bietet ausreichende Geschwindigkeiten dafür, die Server sind technisch fähig, um die heute noch unvorstellbaren Datenmengen zu bewältigen. Zudem bietet Cloud Computing eine nachvollziehbare Abrechnungsmethode, weil man nur das in Rechnung gestellt bekommt, was man auch an Datenleistung „verbraucht“. Wir werden also unsere Daten - befreit von allem Ballast - im wörtlichen Sinne - dennoch bei uns haben, jederzeit an jedem Ort der Welt abrufbar. Die Geräte dafür drängen sich in diesen Tagen verstärkt auf den Markt.
Die Globalisierung, im Sinne der Notwendigkeit, „Daten überall abrufen zu können“, ohne (schwere) Notebooks mit uns herumtragen zu müssen, wird auch unsere Lebens-Daten erfassen. Damit erreicht die Virtualisierung unserer Selbstbildnisse, mehr noch unserer ganzen Lebensdaten ein neues Niveau, weil die Daten in Echtzeit abrufbar auf virtuellen Speichern, nicht mehr physikalisch auf einem Computer vorliegen. Der Life-Line-Recorder ist eine Ebene aufgestiegen, „in die Wolke über uns“, ohne die Bindung an Festplatten, deren Kapazität wir ständig erweitern müssen.
Nebenbei bemerkt ist es interessant, dass der Begriff Cloud-Computing uns ein wenig in die Irre führt, denn unsere Daten sind ja nicht „in der Wolke über uns“, sondern festverankert in Serverparks auf der Erde. Zudem ist der Speicherplatz in der Cloud „unendlich“, wir lösen uns von den physischen Speichern und laden unsere vituellen Lebens-Daten auf virtuelle Speicher. Dem Menschen scheint die Vorstellung zu gefallen, dass sein Leben sich über die irdische Bedingtheit erhebt und Gott ähnlich in der Sphäre schwebt. Zum Glück aber scheint keine Gefahr zu bestehen, dass unsere Selbstbildnisse „gottähnlich“ werden, denn der Trend geht eher zur Selbstinszenierung.
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17 Kommentare
Ja Ibo, sehr nachdenklich stimmt mich das.
Cloud Computing klingt für mich schon lange wie eine dunkle Wolke, die über uns schwebt. Technische Vorteile gibt es immer: schneller, leichter, mobiler. Aber zu welchem Preis? Wem können wir als PRIVATPERSONEN vertrauen, wenn wir ihm unsere Daten geben, etwa Google? "Don't be evil" impliziert für mich schon zuviel Böses.
Es gibt wohl schon UNTERNEHMEN, die Cloud Computing einsetzen oder darüber nachdenken. Vor allem in den USA. Aber da braucht es meines Erachtens neue Dienstleister mit neuen Secure-Serverparks, die sich einem anderen Kodex und Kontrollverfahren unterwerfen?
Die IT-Bereiche der Unternehmen schotten sich immer mehr ab. Und die Menschen in den Unternehmen nutzen ihre iPhones und Privatrechner zur Vernetzung mit der Welt. Heißt das aber, dass die Unternehmensdaten nun ins Netz sollten?
US-Behörden und Geheimdienste dürfen ja auch im Interesse der US-Unternehmen spionieren. Der Spiegel hat schon so oft darüber berichtet. Will ich als kreatives deutsches Unternehmen da ein Risiko eingehen?
Und als Privatperson? Da empfehle ich nochmal den Film: Staatsfeind Nr. 1 mit Will Smith. Dann ist man wieder enspannter. Auch mit Cloud Computing.
Cloud Computing wird sich so oder so durchsetzen. Festplatten sind doch auch von der Idee veraltet. Wieso soll ich irgendwo auf einer Platte meine Daten abspeichern. Das bringt ja kein Sinn. Ich will es überall empfangen können.
Besten Dank für die Gedanken. Ibo, Du machst alles richtig.
Ja Michael, da stimme ich Dir natürlich zu. Datenträger braucht man eigentlich gar nicht mehr selber. Die Frage, die ich mir stelle ist: Wer organisiert und kontrolliert in Zukunft sichere und schnelle Clouds für die Unternehmen.
Was bei Deinem Post etwas zu kurz kommt ist der 'on-demand' Gedanke beim Cloud Computing. Daten sind nur die eine Seite der Medaille. CPU-Power aber eine weitaus kraftvollere. So lässt sich als Einzelner oder kleine Firma für kurze Zeit eine noch vor kurzer Zeit undenkbare Rechenpower mieten und von kleinsten Endgeräten überall auf der Welt steuern und monitoren. Das eröffnet meiner Meinung nach riesige Chancen für Innovationen sowohl im wissenschaftlichen als auch im kommerziellen Bereich.
Nein nein, wie kann man so blauäugig sein?
Cloud Computing ist in meinen Augen eine Lösung für geschlossene Anwendungen: Facebook-Daten liegen in einer Cloud - der Google-Suchindex ist eine Cloud - meine E-Mails können meinetwegen auf einer Cloud liegen. Alles sind Daten, die mir nicht mein Genick brechen, wenn und falls einer dieser Anbieter pleite geht oder seine Software alles Richtung Papierkorb schiebt.
Aber meine Fotos, meine Rechungen, Kopien meiner Unterlagen, meine Steuererklärung, meine Geschäftskorrespondenz, meine entwickelte Software: nie. Und es hat nichts mit der Vorstellung zu tun, dass die Cloud mir die Seele raubt (oder andere solche falschen Vergleiche) sondern mit meinem bisschen Recht an Selbstbestimmung über mein digitales Leben.
Was, wenn die wichtigen Dokumentenkopien in der Cloud gelöscht werden? Was, wenn alle 400000 Fotos der letzten Jahre in der Cloud unauffindbar werden? Dann schreibe ich verzweifelte E-Mails an den jeweiligen Cloud-Hoster und bitte, mit Tränen in den Augen, um die Wiederherstellung der verlorenen, wichtigen, unersetzlichen Daten. Und lese dann die nette Antwort, die mich um Verzeihung bittet für den "ärgerlichen" Fehler in der Datenbank.
Und wenn euch Cloud-Liebenden das passiert, nenne ich das: natürliche Selektion. Dann noch zu sagen "ich habe es gesagt", erspare ich mir.
Ich speichere meine Daten schon seit einigen Jahren Online und bin so vor einem Festplattencrash sicher. Außerdem finde ich es klasse meine Daten Geräte unabhängig abfragen zu können. Jeder entscheidet ja für sich welche Daten er in der Cloud speichert.
Die gegenwärtige Skepsis Cloud Computing gegenüber wird sich früher oder später legen. Die Vorteile liegen auf der Hand und die Möglichkeit all seine Daten jederzeit an jedem Ort der Welt mit versch. Geräten wie Notebook, iPad oder Smartphone abrufen zu können ist sehr verlockend.
Außerdem wer hätte vor 10 Jahren schon gedacht, dass Menschen in Social Communities wie Facebook und Co. mit Ihren persönlichen Daten so offen umgehen und dabei anderen Menschen Details von Ihrem Leben und Alltag preisgeben.
Daher Denke ich, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Cloud Computing die Akzeptanz der breiten Masse für sich gewinnt und für uns zur Norm wird.
Danke für den Artikel.
Wo seht ihr nur die Vorteile für "normale" Nutzer? Dieser kauft sich _ein_ Gerät (bevorzugt Handy) und speichert darauf Musik, Fotos und vielleicht Videos. Bei den Speicherpreisen wird noch lange Zeit genug Platz für alldem auf diesen Geräten vorhanden sein. Der "normale" Nutzer hat nicht überall Netzzugang. Die Preise sinken zwar, aber sich mit UMTS Fotos anzugucken macht kaum Spass - geschweige denn "überall auf der Welt".
Ihr seht euch wenige der Technik zugeneigte Menschen und schliesst auf die Masse. Ach und dass die Leute bei Faceboo persönliche Informationen preis geben heisst nicht, dass sie diese _jedem_ zeigen wollen. Der Skandal um die zu lasche Datenfreigabe bei Facebook beweist das.
Wie gesagt: ein Unternehmen könnte einen Vorteil aus der Cloud ziehen - für private Anwendungen ist sie uninteressant. Was auch vergessen scheint vor so vielen Wolken: die Daten auf einen einfachen Fileserver sind auch weltweit erreichbar. Wer nennt das "Cloud"? Alter Wein in neuen Schläuchen.
@Erich
Weil wir derzeit uns enorm mit Maschinen aufrüsten. Sehr bald wird Dein Spiegel, Bilderrahmen, TV-Geräte, Handys und alles weitere erdenkliche Hardware vernetzt sein wird.
Wir haben bald überall Zugang zu unseren Daten: Hotels, Reiseorte und bei den Eltern.
Es dauert zwar noch 10 Jahre, aber diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten.
Interessanter Artikel, verstehe nur den Hype um die Clouds nicht. Verteilte Speicher gab es schon lange, die weltweit über das Netz abgerufen werden konnten. Heute ist nur alles schneller und mobil geworden. Das eigentlich Neue ist nur, dass es einer breiten Masse zugänglich geworden ist. Der Datenschutz bleibt ein trotzdem ein Thema. Sobald die Persönlichkeit und ihre "Life Line" in einer Serverfarm verschwindet, tut die Wolke den Rest um ihren weiteren digitalen Weg vollends zu verschleiern. Hier bleiben uns Google, Facebook und Co. noch den Nachweis schuldig, dass damit verantwortungsvoll umgegangen wird. Solange Social Networks noch nicht oder kaum profitabel arbeiten und deren Revenue-Pläne wenig nachvollziehbar sind, bleibe ich skeptisch. In 5-10 Jahren werden wir wissen, ob es eine Revolution war oder nicht.
Ich sehe durchaus auch den Punkt, dass hier aus der Perspektive der Onliner geschrieben und kommentiert wurde. In den dem Menschen "gewohnten" Dimensionen sind für uns schon eine Menge Menschen "onliner" - ein Großteil derer, mit denen wir uns vernetzt haben und auch privat wie beruflich umgeben. Aber Tatsache ist, dass diese Menschen in absoluten Zahlen immer noch einen sehr geringen Anteil ausmachen.
Deshalb kann man auch momentan nicht von einem anstehenden Durchbruch solcher Technologien sprechen. Ich würde aber auch 10, maximal 20 Jahre nennen, bis entsprechende Entwicklungen die Massen erreicht haben - mit dem nicht geringen "Risiko", dass sich in einem solch unüberschaubaren Zeitraum ganz andere, bisher unvorstellbare Möglichkeiten entwickeln, man blicke nur mal 10, 15 Jahre zurück und was seit dem alles Unvorgesehenes geschah.
Dennoch, gerade wenn viele Leute vom Web 3.0 und von "Augmented Reality" sprechen, werden an physische Grenzen gebundene Techniken abgelöst werden - ob es dann Cloud Computing ist oder etwas ganz anderes, sei dahin gestellt.
LG
Cloud Computing im Unternehmen kann man ruhig skeptisch sehen (siehe einige Kommentare hier), aber man muss dabei auch wissen, dass viele Unternehmen ihre IT bereits an andere Firmen abgeben. Dort ist es natürlich ebenfalls möglich auf Grund von Fehlern Daten zu verlieren. Und für diesen Fall gibt es Verträge, SLAs und empfindliche Strafen damit der Anbieter sich besonders Mühe gibt alles immer sicher gespeichert zu haben.
Wie Ramon oben geschrieben hat, denke ich allerdings auch, dass die Rechenkraft wichtiger ist als nur Daten zu speichern, denn das spart wirklich Zeit. Statt Wochen mit 10 Rechnern, kann man mit gleichem Budget das Problem in wenigen Stunden lösen in dem man für die Zeit einfach 5000 Instanzen anmietet 😉 (Disclaimer: gilt nicht für alle Probleme)