Ein normaler Arbeitstag sieht wahrscheinlich überall gleich aus. Am Morgen verlässt man das Haus, holt sich irgendwo ein Kaffee von Starbucks und geht zur Arbeit; abends kehrt man nach getaner Arbeit nach Hause zurück und erholt sich von den Strapazen eines hoffentlich erfüllten Tages. Ein kleines Gedankenexperiment soll verdeutlichen, wie wenig plausibel es eigentlich ist, überhaupt die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit so vorzunehmen, wie wir es gewohnt sind zu tun. Die Dogon sind ein Volksstamm, der im westafrikanischen Mali lebt und vor allem für seine Handwerkskunst berühmt ist. Die kunstvollen Masken dienen ihnen zur rituellen Ahnenverehrung.
Die Dogon würden vielleicht zustimmen, dass es Mühe kostet, diese Masken zu schnitzen, jedoch kennt ihre Sprache keinen Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit: Tanzen und Feldarbeit werden beispielsweise mit ein und demselben Wort als körperliche Aktivität kategorisiert. Dass die eine Tätigkeit zum Vergnügen, die andere aus Notwendigkeit ausgeübt wird, ist ihrem Denken fremd. Wie toll, oder? Auf ganz ähnliche Weise steht das Verständnis von Arbeit des Wissensarbeiters quer zu einer Einteilung von Arbeit und Freizeit im Rahmen eines normalen Büroalltags. Vielmehr steht er mit seinem Spezialwissen schnell bereit, so dass so eine Aufteilung hinfällig wird.
Der Super-Zeitarbeiter stellt seine Superkräfte kurzfristig einem Unternehmen zur Verfügung.
Wir befinden uns somit mitten in einem Wandel, indem es den Begriff des einfachen Arbeiters in seinem Grundgerüst nicht mehr geben wird. Das beweist der bereits von mir beschriebene und geprägte Super-Zeitarbeiter. Immer neue Herausforderungen, ob in der realen oder digitalen Welt, führen zu neuen Begrifflichkeiten wie den eben genannten. Der Super-Zeitarbeiter, ob Frau oder Mann, ist ein Spezialist in seinem Fachgebiet und verfügt über ein branchenweites Netzwerk, welches er bis ins Detail kennt. Sie verfügen über hohes Wissen und können die verschiedensten Informationen unterschiedlicher Quellen in Beziehungen setzen. Fehlen Daten, beziehen die Super-Zeitarbeiter diese von externen Ansprechpartnern. Der Super-Zeitarbeiter erkennt und löst dabei Probleme, auch zusammen mit anderen, um das Ziel eine schnelle und saubere Lösung zu erhalten, umzusetzen - dabei darf er nicht ausgebremst werden, sondern muss maximale Freiheit für seine Projekte erhalten. Sich strategisch mit seinem Auftragsgeber zu verbinden, käme aus diesem Grund nicht für ihn in Frage. Meinungs- und Wissensaustausch ist ihm ebenso wichtig wie ein hoher Grad an Selbstorganisation.
Neben dem Super-Zeitarbeiter denken wir jetzt einen Schritt weiter.
Der Wissensarbeiter
Die Idee ist keine ganz neue. Peter Drucker hat vor fast mehr als 60 Jahren den Begriff des Wissensarbeiters geprägt. Er beschrieb damit einen neuen Typus von Arbeitern jenseits von körperlicher oder manueller Tätigkeiten. Ebenso wie mit dem von ihm eingeführten Begriff der Kernkompetenz hat Drucker enorme Weitsicht bewiesen. Die Wissensarbeiter sind eine stetig wachsende Klasse von spezialisierten, hochgebildeten und besonders vernetzten Experten, die in der Informations- und Wissensgesellschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen haben und noch weiter gewinnen werden. Der Aufstieg des Wissensarbeiters begann mit der zunehmenden Automatisierung, die Berufe mit manueller Tätigkeit stetig verdrängt hat. Was ja auch Sinn macht. Zum Durchbruch verhelfen werden ihm die Möglichkeiten digitaler Vernetzung und die immer komplexeren Anforderungen durch die fortschreitende Globalisierung und die zunehmende Technisierung. Der Wissensarbeiter soll als der jüngste Abkömmling dieser Art der Wissensarbeiter vorgestellt werden.
Der Wissensarbeiter - ein amerikanischer Traum
Wissensarbeiter: Innovation und Kreativität kommen bei ihm aus der Vielfalt seines Wissens.
Für viele Teilnehmer der normalen Arbeitswelt, besonders in Deutschland, ist ein Widerspruch im System eine fortwährende Quelle der Frustration: Einerseits gilt Selbstverwirklichung als die oberste Tugend und die Devise des amerikanischen Traumes - “Entwickle dich zu dem, der du werden willst!” - beflügelt das Ende jedes zweiten Filmes. Andererseits hält der Arbeitsmarkt nur eine beschränkte Anzahl von Berufsbildern und Tätigkeitsprofilen bereit, die diejenigen, die offen sind und die Botschaft von der Selbstentfaltung ernst genommen haben, etwas ratlos dastehen lässt. Mit dem Wissensarbeiter steht ein Modell bereit, bei dem alle Interessen und Fähigkeiten von Relevanz sind. Innovation und Kreativität kommen bei ihm aus der Vielfalt seines Wissens.
Arbeit jenseits von Ort und Zeit
Das Arbeitsumfeld der Wissensarbeiter ist von grundlegend anderer Gestalt als beispielsweise das in siloartigen Büros und Fabriken großer Unternehmen. Für die projektorientierte Arbeitsweise werden Coworking Spaces, Shared und Open Offices und so genannte Pop-Up-Spaces als temporäre Arbeitsorte entstehen müssen. In vielen Städten gibt es bereits Pioniere in dieser Richtung, wie es etwa in WeWork unter Beweis stellen. Da die genaue Unterscheidung zwischen Arbeitsleben und Freizeit in ihrer scharfen Form für den Wissensarbeiter hinfällig ist, spielen der Aufenthaltsort und die Uhrzeit, wann etwas erledigt wird, nur eine untergeordnete Rolle.
Von der Last zur Lust
Die lange Tradition der ‘Erwerbsarbeit’ hat Arbeit zu etwas werden lassen, das mit viel mehr mit Mühsal, Zwang und Last zu tun hat als mit spielerischem, freud- und lustvollem Tätigsein. Dabei liegt im emotionalen Aspekt von Arbeit nicht nur ein unternehmerischer, sondern auch ein gesundheitlicher Vorteil: Motivierte Arbeiter voller Leidenschaft für ihr Tun sind nicht nur produktiver, sondern werden erwiesenermaßen auch weniger oft krank. Tüchtigkeit wird zur Tugend. Motivation und emotionale Beteiligung hat vor dem Hintergrund system-interner Veränderungen eine zentrale Funktion, denn wenn nicht mehr über Hierarchien Beteiligung und Effizienz eingefordert wird, stellt die Integration von Projektbeteiligten über andere Wege eine der Herausforderungen dar.
Die Kompetenzen des Wissensarbeiters.
Kompetenz im herkömmlichen Sinn bedeutet, etwas Erlerntes und Statisches. Fähigkeiten, die einmal erlernt wurden, können jederzeit sicher reproduziert werden. Kompetenz entsteht aber auch dann, wenn ein offener Geist auf eine Lücke stößt und diese Lücke auffüllt. Auf diese Weise wird Neues erlernt und es entsteht Innovation. Wird Kompetenz auf diese Weise verstanden und gelingt es, diese Methode in den Arbeitsprozess zu integrieren, dann werden die Wissensarbeiter ein Teil der Wertschöpfungskette. Die Kompetenz, offen zu sein für neue Erfahrungen, ist durch die vielfältigen und schnell sich vollziehenden Veränderungen im digitalen Zeitalter ohnehin unabdingbar. Berufsbilder, die dieses Verständnis von Kompetenz nicht kennen, verschließen sich auch dem damit verbundenen Wertzuwachs.
Heute leben wir in einer Welt in der aufgrund des Bildungssystems, der Medien und des Internets jeder Mensch rein theoretisch in die Lage versetzt wird, sich weiterzuentwickeln und weiterzubilden. Es war also noch nie so leicht, neue Potentiale zu eröffnen, während das immer noch herrschende Arbeitssystem so tut, als würden wir noch im 19. Jahrhundert leben. In Zukunft wird es jedoch nicht ausschließlich darum gehen hochkomplexes Bildungs-Knowhow abzufragen, sondern Universalisten samt ihrer Netzwerke in die Arbeitswelt von morgen einzubeziehen. Wenn sich die Arbeitsbeziehungen so grundlegend ändern und eine Dynamik zwischen hochkomplexen, selbstorganisierenden Netzwerken entsteht, wird es künftig heißen: “Auf Vertrauen bauen”. Nur wie baut man Vertrauen auf? Denn das genau ist die wichtigste Frage für den Wissensarbeiter.
2 Kommentare
1A! - passt sehr gut für mich und teile deine Meinung.