Für die Umsetzung der strategischen Markenbildung beschäftigt man sich mit verschiedenen persönlichen Faktoren wie Zielsetzung, Motivation, Selbstverwirklichung. Dafür muss man in der Lage sein, sich selbst und seine Erwartungen gut zu kennen, sich einschätzen und die eigenen Möglichkeiten und Wünsche formulieren zu können. Die Kenntnis über die eigene Person ist vor allem aber kein abgeschlossener Prozess, denn auch die Persönlichkeit eines Menschen unterliegt steten Veränderungsprozessen.
Wer glaubt, im Erwachsenenalter seien sämtliche Persönlichkeitsentwicklungen bereits abgeschlossen, liegt falsch. Denn das Veränderungspotential eines Menschen bleibt groß, auch noch in späteren Jahren. Doch für eventuelle Veränderungen, die stattfinden können oder auch müssen, braucht man den richtigen Blick, der hilft, Chancen zu erkennen und Entscheidungen bewusst zu treffen. Die Psychologin Ursula Staudinger hat dem SPIEGEL ein Interview gegeben und erklärt, wie sich Veränderungen vollziehen können und warum es wichtig ist, sich immer wieder mit Persönlichkeitsveränderungen auseinanderzusetzen – im Leben und im Beruf.
Alter ist keine Ausrede mehr
Die New Yorker Professorin Staudinger gibt an, dass sich der Mensch verändert, auch nach seinem 30. Lebensjahr. Diese Erkenntnis beruht auf neuen wissenschaftlichen Ergebnissen. Bislang glaubte man, dass das Veränderungspotential im Erwachsenenalter sehr gering sei. Doch neue Methoden beweisen, dass sich der Mensch sein Leben lang enorm emotional und kognitiv ändern kann.
Um Veränderungen überhaupt wissenschaftlich festmachen zu können, hat man bestimmte Charakterzüge für Standardmessungen herausgestellt. Es sind die sogenannten Big Five:
- Neurotizismus,
- Extraversion,
- Offenheit für Erfahrungen,
- Gewissenhaftigkeit und
- Verträglichkeit.
„Man hat auf der ganzen Welt, quer durch die Kulturen, im Laufe des Lebens ähnliche Veränderungen festgestellt: Über die Lebensspanne hinweg nehmen Zuverlässigkeit, Umgänglichkeit und emotionale Stabilität zu. Dafür muss man gar nichts Außergewöhnliches tun, außer in einem menschlichen Gemeinwesen zu leben und die Dinge zu erledigen, die dort über die Jahre auf eine Person zukommen“, so Staudinger.
Veränderungen durch Entwicklungen
Manche dieser Veränderungen gehen quasi automatisch mit altersbedingten Entwicklungen einher. Mit dem Einstieg ins Berufsleben nimmt beispielsweise die Zuverlässigkeit zu. Es wird nämlich erwartet, dass man jeden Morgen pünktlich die Arbeit antritt und seinen Verantwortlichkeiten nachkommt.
„Das ist eine Art anthropologische Grundkonstante: Entwicklungen, die immer stattfinden, wenn Menschen in einer Gruppe zusammenleben und sich Regeln des Zusammenlebens geben. Genauso übrigens wie der eher nachteilige Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung - die Offenheit für neue Erfahrungen nimmt ab dem frühen mittleren Erwachsenenalter ab, ab etwa 40 Jahren“, so die Psychologin. Aber auch in diesem Punkt ist der Mensch wandelbar, denn experimentelle Studien haben gezeigt, dass sich die Offenheit bei Erwachsenen auch wieder steigern lässt.
Veränderung als Chance oder Zwang?
Bei Veränderungsprozessen ist immer die Ausgangslage wichtig und wie man diese empfindet. Man spricht dabei von der internalen Kontrollüberzeugung. Sie ist wichtig, damit man sich neuen Anforderungen nicht ausgeliefert fühlt.
Bei externen Prozessen, die nur von außen beeinflusst werden, geht es um die Frage, wie die anstehenden Veränderungen interpretiert werden: Werden sie als Chancen wahrgenommen oder als Zwang? In beruflicher Hinsicht spielen auch die Unternehmen eine wichtige Rolle, in welcher Weise und ob sie solche Veränderungsprozesse begleiten. „Viele haben da noch Entwicklungspotential“, so die Psychologin.
Um möglichen Veränderungen gegenüber stets offen zu bleiben, sollte man sich die eigenen Interpretations- und Denkmuster bewusst machen. Hilfreich ist es, sich klar zu machen, an Entscheidungen aktiv beteiligt zu sein und sie nicht nur hinnehmen zu müssen. Für diese Ansätze sind bereits Notizzettel am Spiegel geeignet, die genau diese Entscheidungsfreiheit ausdrücken. Wichtig ist auch, die Sichtweise schon in einfachen Sätzen auszudrücken. Sie können für eine positive Perspektive umformuliert werden: anstatt „Ich muss“ sollte es demnach „ich entscheide mich“ heißen.
Solche Perspektivwechsel lassen sich trainieren, erklärt die Psychologin und rät: „Was die Offenheit angeht, sollte man auch im Alltag darauf achten, manchmal bewusst mit Gewohnheiten zu brechen und mal neue Wege zu beschreiten.“ Faktoren wie der eigene Wille und eine hohe Motivation sind zusätzlich ausschlaggebend, auch größere Veränderungen im Leben, jederzeit, zu gestalten. „Es gibt ja zahllose Beispiele dafür, dass jemand das gemacht hat. Es ist nicht selten der Fall, dass sich Menschen im mittleren Erwachsenenalter fragen: Soll es das jetzt gewesen sein? Und daraus den Anstoß zur Veränderung bekommen.“
Der Stein, der ins Rollen kommt – wie wir uns selbst verändern können
Veränderungen können in vielerlei Hinsicht angetrieben werden, beispielsweise durch einen Partnerwechsel. Aber die Erfahrung mit Neuem kann sich schon in kleineren Dingen äußern, wenn man sich beispielsweise immer wieder neuen Themen und Kontexten stellt, die dann auch zur Persönlichkeitsveränderung beitragen.
„Wer zum Beispiel immer den gleichen Urlaubsort aufsucht, kann sich bewusst entscheiden, mal ganz wo anders hinzufahren. Oder mal ein Sachbuch statt die immer gleichen Krimis lesen. So gebe ich mir einen Ruck und setze mich mit Neuem auseinander“, erläutert Staudinger. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse haben gezeigt, dass es auch im späteren Erwachsenenalter Veränderungspotential gibt, das jedoch in der gegenwärtigen Konstruktion unserer Gesellschaft und unseres Lebenslaufes noch nicht genügend ausgeschöpft wird, erklärt die Psychologin.
Das liegt auch darin begründet, dass die Zeit, die mit sehr vielen Entscheidungen verbunden ist, im mittleren Erwachsenenalter liegt: Partnerwahl, Kinderwunsch, Auffassung und Festlegung von Job und Freizeitgestaltung - all diese Dinge fallen in diese Zeit. Danach aber gibt es in der Gesellschaft bisher wenig Anreiz, sich noch weiterzuentwickeln.
Die Psychologin ist aber überzeugt: „Wenn wir es im Beruf und in der Gesellschaft für den Einzelnen auch in der zweiten Lebenshälfte attraktiv machen, sich mit neuen Dingen zu beschäftigen, und gleichzeitig die dafür nötigen Fähigkeiten vermitteln, dann verändert sich dieses scheinbar naturgesetzliche Muster der Persönlichkeitsentwicklung.“
Zwei Wege zur Entwicklung
In der Persönlichkeitsentwicklung gibt es zwei positive Wege, den Wohlbefindensweg und den Weisheitsweg.
Der Wohlbefindensweg wird meistens gewählt. „Wir konzentrieren uns darauf, dass es uns und den Personen, die uns wichtig sind, gutgeht und sich alle wohlfühlen. Das führt häufig dazu, dass man das Erreichte erhalten möchte und eher nicht das Risiko eingeht, durch Veränderung das Glück aufs Spiel zu setzen,“ erläutert Staudinger.
Der Weisheitsweg ist deshalb mit mehr Risiken verbunden. „Auf dem Weisheitsweg geht es darum, das große Ganze zu verstehen und zum Wohle aller weiterzuentwickeln. Die Zielsetzungen dieser Menschen gehen über das Wohl der eigenen Person und des eigenen Umfelds und auch über die Gegenwart hinaus.“
Das bedeutet aber nicht, dass dieser Weg der bessere sein muss, denn auch die Fähigkeit, zu verharren hat ihre eigene und gute Logik. Aber am Ende ist vor allem wichtig, dass man beide Wege kennt und ihre Unterschiede. Dann kann man sich selbst hinterfragen und demnach entscheiden, welchen dieser Wege man am liebsten gehen möchte.