In einem Gesprächen mit einem Jugendlichen wurde mich erst klar, dass es eine Art Sammelsucht gibt. Beim Sammelsüchtigen geht es nicht um das illegale Sammeln von Daten, sondern darum, ein einmal gesetztes Ziel zu erreichen. Ein Ziel kann sein, dass man alle Künstler von A-Z in einem Archiv speichern möchte.
Ich unterhalte mich gern mit Menschen darüber, was sie über die verschiedenen digitalen Themen denken. Bei einem dieser Gespräche erzählte mir ein 17-Jähriger, dass er sich sehr viele Musikstücke als mp3 aus dem Internet heruntergeladen hätte. Auf die Tatsache angesprochen, dass dieses Verhalten illegal sei und ihn zu einem Kriminellen machen würde, erklärte er mir, dass er nach kurzer Zeit einfach nicht mehr damit aufhören konnte, mehr und mehr Songs herunterzuladen. Er hätte eine regelrechte Besessenheit entwickelt, so viele Lieder wie nur irgend möglich auf seiner Festplatte zu speichern. Dieser Jugendliche hatte überhaupt kein Unrechtsbewusstsein bei seinen illegalen Downloads, er redete sich damit heraus, dass »das ja alle machen«. Es ging ihm gar nicht darum, die Musikstücke alle zu hören, er schaffte sich damit vielmehr eine Freizeitbeschäftigung, indem er die mp3-Dateien auf seiner Festplatte nach Musikrichtung, Sprache, Interpreten, persönlicher Bewertung und Qualität ordnete. Der junge Mann war – in seinen Augen sinnvoll – beschäftigt. Das Ziel seiner Sammlung war es, alle Lieder seiner Lieblingsstile vollständig in seinem Computer verfügbar zu haben. Auch wenn dieses Beispiel sicher extrem ist, so müssen wir uns darüber klar werden, dass das, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, heute die Realität ist.
Es scheint mir, dass junge Leute heute viel weiter gefasste Möglichkeiten haben, ihre Interessen zu verfolgen, Nachrichten auszuwerten und das alles in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Die Komplexität des Internets scheint ein komplexeres Denkvermögen zu fördern, wenn es ein mehr oder weniger sinnvolles Ziel gibt, das der Nutzer verfolgen kann. Sprachkenntnisse, Wissen über moderne Informations- und Kommunikationstechnik und eine strukturierte Vorgehensweise scheinen dabei ganz nebenbei gelernt zu werden.
Was für eine unfassbare Zeit. Alles fließt, alles ändert sich.
Weitere Themen rund um das Thema Sammelsucht findet ihr in meinem Buch: Der Fixierungscode
26 Kommentare
Ich habe das Problem, dass ich meine Bilder nicht löschen mag. So langsam haben sich mehr als 100.000 Bilder gesammelt. Knapp 2000 GByte Daten habe ich nun. Ich traue mich auch kaum noch die Bilder zu sortieren. Das nimmt doch enorm viel Zeit in Anspruch.
@Michael - Das kenne ich auch gut 🙂 - Habe auch noch 40.000 Bilder nachzubearbeiten. Ich wüsste gar nicht, wann ich die Zeit dazu finden sollte.
Du hast Recht. Digitale Sammelsucht ist auch ein Zeitproblem für Sortierungen.
Man wird somit langsam aber sicher ein Datenmessi 🙂
Ich glaube das Jugendliche (gerade im Sektor MP3) eigentlich nur "sammeln" um vor Ihrem Freundeskreis mit der größten MP3-Sammlung da zu stehen. Gerade in dem Zusammenhang "MP3 Sammelsucht" lohnt es sich die Entwicklungen in Frankreich zu beobachten. Dort ist ja heute das (meiner Meinung sinnloses) umstrittene Gesetz zur Internetsperre verabschiedet worden.
Ich sag Dir ganz ehrlich. Lieber sollen die Jugendlichen MP3 "sammeln" als auf den Straßen Unfug treiben ...
@ifranz - Ja, wir dürfen natürlich nicht einfach sagen, dass illegales Vorgehen richtig ist.
Die Frage ist doch eher: Sind wir dem Gebrauch mit dem Internet vielleicht ein wenig überfordert? Ist vielleicht doch einfach instinktiv bei uns eine Art Sammelsucht zu spüren?
Sehr spannende neue Fragen.
...dieses Gesammele ist doch irgendwie auch typisch "Nerd", find' ich. Zumindest meine "Nerds" die ich so kenne, sammeln alle irgendwas. Wenn auch nicht zwingend "was digitales". Ich denke das diese "digitale Sammelsucht" schon eher in die leicht jüngerer Generation passt. Die "oldschool-Nerds" wollen halt noch das Game-Cover im Regal haben; jüngere vielleicht ein "digital Cover in iTunes. Kein Plan, könnte aber hinkommen, oder?
Ich halt's so: Mit in die Kiste (die in die wir alle mal gehen. Oder in den Wald. Oder sonst wohin) nehmen kann und will ich eh nix. Warum sollte ich mich also jetzt an materiellen Dingen festhalten? (Und ja: das i-Cover verstehe ich auch als Materialismus; auch wenn man' nichz so "direkt" anfassen kann. )
Klar... ohne Bücher könnt ich auch nicht. Und die sammele ich wie ein besessener Nerd (Büchertauschbörse? Bücher verkaufen? -> Ich? Niemals! )
...sonst versuche ich mich frei von solchen Dingen zu machen. Klappen tuts mal mehr mal weniger; kennt ja jeder; schätze ich.
Brauche ich ne Playlist die 6 Wochen läuft? Oder will ich zwei Songs auf ner LP mit Kratzsound?
(Beides!)
😉
Passt bloß auf, dass ihr nicht zuviel von euere Sammelsucht verratet 🙂
Toller Beitrag übrigens. Ich denke, dass wird eine spannende Diskussion.
@Chris Sehr gut erkannt. Wobei ich glaube die digitale Sammelsucht kann jeden befallen. denk einfach mal an Bilder, Videos oder gar Pornos oder sonstiges.
Aber sonst sehr gute Vergleiche. Danke für Dein Kommentar.
@Michael - hehe, das ist klar. Aber es ist ein Gesellschaftliches Phänomen. Und das muss man einfach mal befragen, sich erkundigen, sich Gedanken machen & Lösungsansätze anbieten.
Ich würde das virtuelle Sammeln gar nicht als großes Problem sehen. Das ist nur die Onlinevariante eines Phänomens, das es früher auch schon gab.
Mit solche Sammlungen machen die Kids erste Erfahrungen mit Zielen, Disziplin und letztlich auch mit der Bedeutung von Statussymbolen. Im besten Fall lernen sie dadurch schon in jungen Jahren, das Besitz nicht glücklich macht.
LG Sina
Man kauft ja nicht die Katze im Sack. Deswegen bin ich schon ab und zu auf Tauschbörsen. Wenn mir die Platte zusagt, dann nutze ich iTunes um die Platte zu kaufen.
Künstler müssen ja schließlich unterstützt werden.
@Sina Sehr interessante Ansicht. Müsste man in die Gedanken mit einbeziehen.
Es ist aber nicht aus der Hand zu weisen, dass viele Menschen die Online aktiv sind schnell in Sammelsucht verfallen.
Ich z.B. sammle gerne Dokumente aller Art. Beispielsweise über slideshare.com - Das macht mich Glücklich. Sehr seltsam alles 🙂
Zum Thema Sammelsucht hat doch bestimmt Google etwas zu sagen oder?
Am Beispiel Google kann ich meine Sammelsucht festmachen. Ich versuche sämtlichen Input am Tag zu sichten/überfliegen und so selber in MR.Wong oder ähnlichem abzusichern, um mir quasi mein eigenes Google bzw. Wissensbibliothek aufbauen kann. Diese wäre durch meinen Verstand erstellt. Man könnte es also mit dem Begriff "semantische" Suche gleichsetzen, wenn ich in MR.Wong nach Begriffen suche 😉 I love it!
PS: @Ibo, dein Blog/HP ist sehr vorbildlich gestaltet und schön anzuschauen! Ich komme vom Google Reader immer wieder gerne hier drauf! Ein Hoch auf Transparenz und Einfachheit!
Denkt doch mal an die gute alte CD - das war das Ding vor iTunes - die haben wir doch gesammelt bis zur Decke und als festen Bestandteil der Wohnzimmereinrichtung und damit der persönlichen Außendarstellung kultiviert. Und nun? Meine CDs sind auf der Platte und physisch im Keller. Trennen konnte ich mich noch nicht - wird aber noch, bestimmt.
Ich denke, das Sammeln hat seine jeweiligen zeitadäquaten Formen. Wenn Information digital zur Verfügung steht, sammeln wir digital.
Die Befürchtung, die ich habe, ist, daß wir abstumpfen. Was nehmen wir noch wahr vom Angebot und was wird zum weissen Rauschen?
Spannend ist das und ich bin froh daran teilnehmen zu dürfen...
Sammelwut ist m.E. nichts Neues und erst recht nicht aufs Internet beschränkt. Was steht denn in den Glasvitrinen unzähliger Wohnzimmer? Zinnfigürchen? Porzellanfigürchen? Oder doch (dann ohne Glas) Massen von Büchern aus dem Buchclub? Panini-Sammelbilder sind seit Jahrzehnten ein Kassenschlager und die Sammelwut ist weder neu noch ausschließlich digital.
@Julian
Google hat auch Sammelsucht, dass stimmt 🙂 - Danke für die lieben Worte über mein HP - War auch bisschen Arbeit. Ich gebe sehr bald die Seite frei (als Download).
@Martin
Das stimmt, wobei natürlich man nicht vergessen darf, dass kaum jemand 4000 CDs zuhause hatte. Das wäre ja kaum bezahlbar. Heute haben das 30 % der Kids auf den Rechnern. 🙂
@Marc (Webanhalter)
Ja, dass stimmt, aber der Zugang war trotzdem erschwert. Heute kann man an einem Tag 10.000 Songs aus dem Netz laden. Um 10.000 Porzellanpüppchen zu sammeln braucht man Jahre. Oder?
@Ibo:
Dafür sind die Porzellanfigürchen aber auch dauerhafter. Sie werden wohl weniger versehentlich herunterfallen, als mal ein Fotoordner eine Neuinstallation nicht überlebt. Und ein mp3-Ordner ist schneller gelöscht, als ein Buch in den Papierkorb entsorgt. Oder nicht?
@Marc (Webanhalter)
Absolut wahr ja. Auch wenn beides zu Sammeln gehört, ist das eine nicht zu vergleichen. Es ist trotzdem meistens illegal. Das genau ist ja das Problem.
Und das interessiert natürlich auch kaum irgendwen. Man sammelt halt vor sich hin.
Interessant, daher hier her kopiert:
Dirk Brünner hat deinen Status auf Facebook kommentiert:
"Entweder Sammelsucht oder Sammelinstinkt. Das sollte man unterscheiden, wenn man nen einen gewissen wissenschaftlichen Anspruch gerecht werden will. Instinkt und Sucht haben nämlich einen unterschiedlichen Ursprung, wie ich finde. Und den gilt es in die Gesamtbetrachtung einfließen zu lassen. Aber nicht nur der Ursprung ist relevant sondern auch der Effekt des Sammelns. Manche sammeln aus Leidenschaft. Andere wiederum um anzugeben bzw. sich selbst darzustellen. Im Netz ist meiner Meinung nach zweites Dominant. Im Web2.0 dient das Sammeln virtueller Dinge vor allem der Untermauerung eines positiven Selbstbildes."
Sammlersucht in dieser Form scheint mir nicht automatisch einem Instinkt des digitalen Zeitalters zu entspringen. Die hier herausgestellte Profilmerkmal ist: Alles haben müssen – egal, ob’s gehört wird oder nicht – Hauptsache komplett. Das entspricht ziemlich genau dem Sammelverhalten von Menschen, die bis zu ebay-Zeiten sog. Plattenbörsen besucht, oder bei privaten Versandhändlern eingekauft haben . Gesammelt wurde nach Künstlern, aber auch hier galt unter den „echten“ Sammlern der Grundsatz der unbedingten Vollständigkeit – sei es die gleiche Single etwa in japanischer, australischer, englischer, jugoslawischer, kanadischer und deutscher Pressung . „Unberührtheit“ war dabei eines der wichtigsten, preistreibenden Merkmale. Und gerade unter den Hardcore-Sammlern befanden sich viele, die ihre Schätze eingeschweißt und ungehört aufbewahrten. Illegal waren damals nicht geladene Musikdateien, sondern Mitschnitte von Konzerten (Bootlegs).
Es mag sein, dass das digitale Denken heute andere Zielgruppen zu Sammlern macht als vor 20 Jahren. Aber in dem hier genannten Beispiel weist das Profil starke Ähnlichkeiten zum Musik-Sammlerprofil im prä-digitalen Zeitalter auf.
Ja ja, Schallplatten, Tonträger, in sich geschlossene Alben MIT Artwork - das kennen viele jungen Leute heutzutage gar nicht mehr. Schade schade...
Sammeln ist sicher kein neues Phänomen. Dennoch stimme ich Ibo, zu, dass es durch das Internet eine neue Dimension bekommt, denn die Schwelle, mal eben eine Sammlung (zumindest digitaler Güter) aufzubauen, sinkt. Der Übergang von der Leidenschaft zu Sammeln zur Sucht ist vermutlich fließend: In den USA hat sich bereits der Begriff "digital pack Rats" etabliert und es gibt Untersuchungen zu der pathologischen digitalen Sammelwut; bisher wurde diese aber nicht offiziell als psychische Erkrankung anerkannt.
Ich denke, wir alle fangen erst langsam an zu begreifen, wie viele Bereiche unseres Lebens das Internet heute und künftig tangiert und verändern wird. Leider verstehen viele von uns nicht, dass es langfristig keinen Sinn macht, Teile des Internets (wie beispielsweise Musikdateien) zu kopieren und lokal zu speichern.
@Marc C. Schmidt - DAS ist in der Tat ein interessanter Gedanke: Warum etwas aus dem Netz "lokal" speichern/haben wollen, wo es doch (in der Regel) permanent und für jeden verfügbar ist? Ja, hat uns denn der real existierende Sozialismus am Ende ein Schnippchen geschlagen und das persönliche Gut, zumindest in Teilbereichen überflüssig gemacht? 😉 Nun, seit dem und so lange es Daten gibt, die sich verfielfältigen lassen...
@Norbert Diedrich (Nordbergh) – Diesen Gedanken hatte ich in der Tat auch schon. 🙂 Das persönliche Eigentum verliert (auf Digitales eingeschränkt) an Sinn und Bedeutung. Praktisch frage ich mich beispielsweise, ob ich beispielsweise einen Film besitzen muss, oder ihn nicht einfach bei Bedarf On-Demand nutze - denn mal ehrlich: Wer sammelt schon freiwillig Silberscheiben? 😉
@ibo: Ich denke da bei mir eher an Musik. Und jetzt pass' auf: Ich habe meine 500GB Platte gegen eine 20Gb getauscht. Ganz bewusst. Weil ich Mucke hören will, und nicht mehr ewig sortieren und PlattencoverIcons raussuchen will ...seid dem bin ich musikalischer denn je. Verrückt Idee,ey 😉
@Sina: Muss ich auch mal üben;so optimistisch zu denken; ehrlich jetzt.
@iFranz: 😉 Geil ey, man protzt mit den Terrabytes an Mucke. Ich stell mir das grad' vor. Zu schön.
@Norbert:
"Sammlersucht in dieser Form scheint mir nicht automatisch einem Instinkt des digitalen Zeitalters zu entspringen."
-> Glaub ich auch nicht; eher aus 'nem urzeitlichen Dingens heraus, denk' ich.
Dabei gibt es im digitalen Zeitalter gar keinen Grund mehr, mp3s zu sammeln! Nachdem ich last.fm und andere Streaming-Dienste entdeckt habe (Napster in Verbindung mit einer Squeezebox ist auch nicht schlecht), habe ich das Interesse an einer eigenen, Festplattenplatz-fressenden Mp3-Sammlung komplett verloren... 😉
Das mit den Bildern stimmt allerdings. Dafür gibt es leider noch keine gute Lösung, oder?
@Marc @Chris: Dieses Shoutout hat mir klar gemacht: Ich bin der geborene Kapitalist. Besitze wahrscheinlich eine der besten Police-Sammlungen überhaupt - in Vinyl-Schwarz. Dafür habe ich schon gehungert, den Zoll belogen und 'ne Beziehung ruiniert - und wenn es brennt kann Frau auf eigenen Beinen laufen. Meine Platten können das nicht! 😉 Aber mein Therapeut macht mir weiterhin Hoffnung... Danke für das Gespräch 🙂